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Der Bekloppte mit seinem Taschenrechner
Es war einmal
Finstere Zeiten waren es, als ich meine unzähligen, schlecht bezahlten Überstunden auch noch an einer Stechuhr nachweisen mußte. Ich leistete Schichtarbeit in einem Videokopierwerk als MAZ-operator, sah das Tageslicht nur selten und bekam ein schlechtes Gewissen wenn ich mal ´ne Stunde später kommen durfte weil ich einen Arzt-Termin hatte. Jeder Mitarbeiter (außer dem Chef) hatte eine blaue Plastikkarte mit der er seinen Arbeitstag begann und beendete. Auch die Pause war natürlich entsprechend zu buchen. Die Zeiten wurden immer härter bis eines Tages die Überstunden nicht mehr ausgezahlt werden sollten, sondern mit dem so genannten Freizeitausgleich erledigt werden sollten. Nur, wer sollte meine Arbeit machen wärend ich doch „Freizeit“ haben sollte? Also gab es eine Sonderregelung (ich durfte arbeiten).
Der Betrug
Irgendwie hatte ich aber immer den Eindruck, das ich zu wenig Entschädigung für die ganze Plackerei bekam. Dieses Gefühl ist sicherlich vielen bekannt. Ich war mir sicher ich wurde beschissen. Dieser seltsame Apparat am Mitarbeiter-Eingang wurde mir immer suspekter. Ich beschloss ein vertrauenswürdigeres Gerät zur Hilfe zu rufen um den großen Megabeschiss aufzudecken. Vier mal am Tag: beim Kommen, beim essen Gehen, bei der Rückker nach der Pause und vor Feierabend klappte ich meinen beliebten Portfolio auf und sagte ihm, daß ich nun buche. Ich hätte mir ein PBasic-Programm für die Eingabe schreiben können, wollte aber auch die internen Applikationen verwenden. Ich tippte also in den Terminplaner: morgens einmal „k“, mittags „g“ und wieder „k“ und abends noch mal „g“. Zur Auswertung schrieb ich mir ZEK.BAS „Zeiterfassungskontrolle“, dieses Programm kämmte die ensprechende *.DRY nach den Einträgen „k“ und „g“ durch und berechnete die Zeiten. Jeden Monat machte ich eine neue Datei (z.B.: FEB93.DRY). Tatsächlich es gab Abweichungen. Diese waren aber nicht so eklatant wie ich vermutet (gehofft) hatte. Also dachte ich mir „wir ziehn das durch, das addiert sich bestimmt auf…“. Jedes mal wenn ich mit der Personalabteilung sprach hielt ich das Kinn so weit oben das der Nacken knirschte.
Ich habe das wirklich ein ganzes Jahr durchgezogen. Die Abweichungen waren immer dann wenn das Buchungsgerät „offline“ war (bei Datensicherung). Meine Kollegen waren ganz gespannt auf das Ergebnis. Jemand der ein ganzes Jahr lang seinen Taschenrechner jedes mal aufklappt bevor er seine Zeiterfassungskarte in den Schlitz steckt muß ja wissen was er tut… Sollte ich Recht bekommen würde das einen riesigen Auflauf in der Personalabteilung bringen.
Der Tag der Abrechnung
Am Ende des Jahres setzte ich mich eines Abends hin und machte die große ZEK-Session um meinem Elend ein Ende zu bereiten. Es war spannend, es dauerte eine Weile bis der Pofo das Ergebnis hatte: die Firma hatte mir zwölf Minuten geschenkt. Verzweifelt suchte ich nach dem Fehler. Es gab ihn nicht.
Ich war dem Portfolio nicht böse, ihm glaubte ich, irgendwo hatte ich schon mal gehört die Zeit sei relativ. Als meine Kollegen endlich wissen wollten wie hoch der Beschiss ist sagte ich nur ganz cool: „Soo groß ist er nicht, dafür mache ich keinen Ärger“.
Späte Rache
Ein Jahr später wurde ich in die Produktionsabteilung befördert. Dort wurde man tatsächlich wie ein Mensch behandelt, ich hatte davon gehört, die sahen irgendwie gesünder aus. Die Verantwortung war aber mehr gewachsen als der Lohn und die Wirtschaftslage war auch nicht besser. Ich arbeitete zwischen 14 und 16 Stunden. Aber es machte wesentlich mehr Spaß, die Arbeit war haupsächlich kreativer Natur und ich hatte auch Wartezeiten (Überspielungen, Formatkonvertierungen.) In dieser Zeit schrieb ich mein wohl längstes BASIC-Programm „CMDLIN.BAS“, eine Kommandozeile für PBasic (das einzige was ich bei diesem exzellenten Interpreter vermisse). Ich benutze ihn heute noch. Seit dem blicke ich versöhnter in die Vergangenheit, ich hab´ sie auch beschissen. Sie haben die Entwicklungszeit bezahlt.